Die Würde des Menschen...ist unantastbar.

 

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Deutscher Bundestag — 1. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 7. September 1949 

1. Sitzung.
Bonn, Mittwoch, den 7. September 1949.
Eröffnungsansprache
des Alterspräsidenten Löbe . . . . 1 B
Namensaufruf der Abgeordneten und Wahl
des Präsidenten . . . ... . . . . 3 A
Dr. Adenauer (CDU) . . 3B
Reimann (KPD) 3 B
Böhm (SPD) 3 C
Dr. Köhler übernimmt das Präsidium . . 3D
Wahl der Vizepräsidenten und der
Schriftführer . ... . . . . . . 3 D
Ollenhauer (SPD) 4 A
Dr. Heuss (FDP) 4 A
Dr. Seelos (BP) 4 B
Reimann (KPD) 4 B
Dr.Schmid(SPD) 4 C
Ansprache des Präsidenten Dr. Köhler . . 4 C
Bildung eines Vorläufigen Geschäftsordnungsausschusses
. . . . . . . . 6 A
Bildung und Einberufung des Ältestenrats . . 6 B
Nächste Sitzung:
Renner (KPD) 6 B, 7 A
Ollenhauer (SPD) 6 C
Die Sitzung wird um 16 Uhr 5 Minuten eingeleitet
mit der Ouvertüre „Weihe des Hauses", Opus
124 von Ludwig van Beethoven. 
(...)

Meine Damen und Herren! Das Volk der Bundesrepublik
Deutschland hat mit der Wahl der Mitglieder
des Bundestags ein Bekenntnis zu einer staatlichen
Lebensform abgelegt, die uns in Übereinstimmung
mit dem größten Teil der Welt die
höchste und edelste Formung des politischen und
menschlichen Zusammenlebens auf der Erde ist.
Das Maß der Verantwortung, das mit dieser Entscheidung
des Volkes uns als Mitgliedern des Bundestags
auferlegt wird, ist, gemessen an der bisherigen
geschichtlichen Gesamtentwicklung unseres
Volkes — ich glaube, das ohne Übertreibung sagen
 zu dürfen —, ein einmaliges und unsagbar großes.
Unser Volk muß wieder zum Bewußtsein seines
Rechtes und auch der Verpflichtungen seiner Existenz
gelangen. Und es drängt sich in dieser Stunde
wohl auf unser aller Lippen die Frage: wozu sind
wir auf der Welt? Der Ausgang derWahlen hat
gezeigt, daß wir uns nicht zur Macht bekennen, sondern
zur großen Idee der Gemeinschaft mit anderen
Völkern, und daß wir im Rahmen dieser Gemeinschaft
gewillt sind, aus Erde und Menschen ein
Höchstmaß materieller und geistiger Kräfte nicht
allein zum Nutzen unseres Volkes, sondern der gesamten
Völkergemeinschaft herauszuschöpfen. 

(Beifall.)
Eine der edelsten Zielsetzungen, die uns wohl
hier in diesem Hause über die Verschiedenheit der
politischen Anschauungen hinweg verbinden, ist
doch die, daß die Menschenwürde sich wieder in
jedem Deutschen uneingeschränkt und nach jeder
Richtung hin entfalten kann. Die Verwirklichung
von Recht unid Gerechtigkeit soll und muß das
oberste Gesetz unseres gesetzgeberischen Handelns
in Zukunft sein. Geistige und politische Freiheit des
Menschen, Freiheit des Glaubens, des Gewissens
und der Überzeugung sind dieedelsten Güter einer
wahrhaften Demokratie. Sie zu sichern und ihre
Verwirklichung auf allen staatlichen Gebieten und
auf allen privaten Gebieten des Lebens herbeizu
führen, wird eine unserer wichtigsten Aufgaben
sein. Die Erfüllung dieser Aufgabe wird aber ihre
Grenzen finden, wenn die Freiheit im Sinne ihrer
Einschränkung mißbraucht werden soll. Freiheit
denen, diedie Freiheit achten und lieben; Schranken
aber denen gegenüber, die dieses Grundgut der
Demokratie mißachten oder gar beseitigen wollen.
(Beifall.)
Meine Damen und Herren, das ist, glaube ich, zutiefst
der Sinn der Erfüllung der hinter uns liegenden
Staats- und Weltkatastrophe. Noch sind wir
nicht ein Parlament Gesamtdeutschlands. Und so
richtet sich in dieser Stunde unser Gedenken an die
20 Millionen Menschen, denen der Beitritt zur Bundesrepublik
Deutschland zur Zeit de jure und de
facto noch offensteht. In diesem Zusammenhang
möchte ich die Tatsache hervorheben, daß meine
Wahlzum Präsidenten dieses Hauses heute eine
Persönlichkeit vorgenommen hat, die als einer der
Exponenten unseres deutschen Ostens gilt. Ich sehe
in diesem Vorgang ein einprägsames und nicht nur
für unser Volk, sondern auch für die gesamte Weltöffentlichkeit
klar erkennbares Symbol der unerschütterlichen
Verbundenheit der Bundesrepublik
Deutschland mit den Menschen des Ostens.
(Lebhafter Beifall.)
Lassen Sie mich hinzufügen: möge gerade dieser
Vorgang ein gutes Omen sein für das letzte Ziel
unserer Gesamtarbeit, früher oder später zu einem
Parlament Gesamtdeutschlands zu werden. Im Gedenken
an dieses Ziel gelten meine besonders herzlichen
Grüße den Vertretern und Abgeordneten
Berlins,diean unseren Beratungen teilnehmen. 

Lassen Sie mich hinzufügen: möge gerade dieser
Vorgang ein gutes Omen sein für das letzte Ziel
unserer Gesamtarbeit, früher oder später zu einem
Parlament Gesamtdeutschlands zu werden. Im Gedenken
an dieses Ziel gelten meine besonders herzlichen
Grüße den Vertretern und Abgeordneten
Berlins,diean unseren Beratungen teilnehmen.
(Erneuter lebhafter Beifall.)
Meine Damen und Herren! Heute wird für den
größten Teil Gesamtdeutschlands eine verfassungsmäßig
gegründete Staatsautorität ins Leben gerufen.
Sie wird verkörpert durch die nach der Verfassung
gesetzgebenden Organe. Sie muß aber auch
eine geistige Verankerung finden. Sie kann diese
geistige Verankerung als Staatsautorität in unserem
Volke nur dann finden, wenn unsere Arbeit von
dem edelsten Grundsatz, den je die Geschichte
menschlicher Ethik aufgestellt hat, entscheidend bestimmt
wird: wir woll en dienen. Wir wollen
dienen den Armen und Bedürftigen, wir wollen die
Selbstsucht in Schranken halten, und wir wollen
den Schwachen vor dem Starken schützen. Indem
wir so handeln, werden wir auch im tiefsten Sinne
eine der grundlegenden Bestimmungen des Grundgesetzes
erfüllen, nämlich dem Frieden der Welt
24 des Bonner Grund- zu dienen. Mit dem Artikel
gesetzes verpflichten wir uns bekanntlich,
 Hoheitsrechte .freiwillig aufzugeben, wenn dadurch eine
friedliche und dauerhafte Ordnung in Europa und
zwischen den Völkern der Welt herbeigeführt werden
kann. Ich glaube zu dem folgenden Bekenntnis
berechtigt zu sein: Wir bekennen uns in dieser
historischen Stundenicht nur mit dem Verstand,
sondern auch mitder Leidenschaft unseres Herzens
zu einer solchen Neuordnung Europas und der
Welt. Dem Frieden zu dienen, das ist wahrhaft die
tiefste Sehnsucht unseres Volkes. Ich glaube am
Beginn 'unserer Arbeit aussprechen zu dürfen: wir
sind von der Hoffnung erfüllt, daß ein neues
Deutschland des Rechtes und der Gerechtigkeit,
daß die Bundesrepublik Deutschland aus diesem
Glauben, daß wir dem Frieden dienen wollen, aus
einer Neuordnung Europas und der Welt, aus dem
Glauben an diese Wandlung immer ihre Kraft für
eine glücklichere Entwicklung der Zukunft schöpfen
wird. (...)
http://dipbt.bundestag.de/dip21/btp/01/01001.pdf